Seit Januar 2016 haben sich große Unternehmen in Deutschland dazu verpflichtet, ihre Aufsichtsräte mit mindestens 30 % Frauen zu besetzen. Für Krankenhäuser und Universitäten gilt diese Regelung nicht und das merkt man: Im Gesundheitswesen stehen deutlich die Männer an der Spitze. Ist das ganz normal oder schon diskriminierend?
Frauen in Führungspositionen verzichtbar?
Eine Frauenquote kann Missgunst im Team fördern: Wird die Frau nur wegen ihres Geschlechts eingestellt? Auch der bürokratische Aufwand einer einheitlichen Quote für Frauen in Führungspositionen im Gesundheitswesen wäre enorm und würde sich vielleicht gar nicht rentieren, denn die Doppelbelastung von Kind und Karriere besteht ja trotzdem weiter. Aktuell sind über 60% der Medizinstudierenden Frauen – an der Qualifikation hapert es also nicht. Trotzdem sind in Deutschland 31% der Oberärzte weiblich, aber nur 10% sind Chefärztinnen und an den medizinischen Fakultäten sieht es in Deutschland noch schlechter aus.
Warum wir mehr Frauenpower brauchen und wie Frauen im Gesundheitswesen die Karriereleiter erklimmen können, haben wir Prof. Dr. Gabriele Kaczmarczyk gefragt. Sie ist Vizepräsidentin des Deutschen Ärztinnenbundes, Trägerin des Bundesverdienstkreuzes und Mitbegründerin des Projektes ProQuote Medizin.
BeyondHealth: Oft erfolgt bei Ärztinnen ein Karriereknick, wenn sie Kinder bekommen. Wie kann dem entgegengewirkt werden?
Prof. Dr. Kaczmarczyk: Ich würde das Thema Kinderbetreuung und Karriere nicht zu sehr in den Mittelpunkt stellen, denn Frauen, die sich für Führungspositionen interessieren sind oft in einem Alter, in dem ihre Kinder nicht mehr durchgehend betreut werden müssen. Für eine bessere Work-Life-Balance kann ich das Modell des Topsharings empfehlen. Hier teilen sich zwei Führungskräfte eine Position. Das muss nicht kleinteilig auf einen Tag verteilt sein, sondern kann, je nach Belieben der Führungskräfte, unterschiedlich gewichtet werden. Das hört sich zuerst befremdlich an, aber in niedergelassenen Arztpraxen wird diese Technik ja auch angewendet, wenn sich Ärzte absprechen und sich gegenseitig vertreten. Auch Männer fühlen sich nicht immer alleine an der Spitze wohl und wenn eine neue Generation Führungsverantwortung übernimmt, könnte dieses Modell durchaus eine Chance haben.
BeyondHealth: Ich bin Fachärztin und strebe eine Führungsposition an. Was sollte ich am besten gleich morgen tun?
Prof. Dr. Kaczmarczyk: Ganz einfach: Auf die Stelle bewerben, die Sie anstreben! Frauen trauen sich oft zu wenig zu und unterschätzen ihre Fähigkeiten. Das Potential ist auf jeden Fall da, nur müssten mehr Frauen auf ihren Wünschen und Zielen beharren. Männer neigen eher dazu zu verhandeln. Das sollten sich Frauen zum Vorbild nehmen und selbstbewusst mit ihren Qualifikationen umgehen.
BeyondHealth: Gibt es Unterschiede zwischen weiblichen und männlichen Führungsstilen und wenn ja, wie könnte eine vermehrt weiblich geprägte Führung das Gesundheitswesen beeinflussen?
Prof. Dr. Kaczmarczyk: Frauen sind mehr teamorientiert und achten in Führungspositionen auch mehr auf die Gesundheit ihrer Mitarbeiter. Auch sind sie weniger an Hierarchien interessiert. Frauen betreiben auch tendenziell mehr sprechende Medizin, was effektiver sein kann als umgehend Medikamente zu verschreiben oder eine Operation in Betracht zu ziehen. Trotzdem sind Männer und Frauen nur im Team richtig stark, das haben mehrere Studien bereits festgestellt. Natürlich gibt es Frauen und Männer, die einfach schlecht führen. Schlechte Führung hat negative Auswirkungen auf das ganze Team, was sich im Krankenhaus unverzüglich auf das Patientenwohl auswirkt.
BeyondHealth: Klinikbetreiber führen oft an, für mehr weibliche Führungskräfte auch mehr Geld in Kinderbetreuung und Teilzeitpositionen stecken zu müssen. Warum lohnt es sich trotzdem, mehr Ärztinnen den Weg in eine Führungsposition zu ermöglichen?
Prof. Dr. Kaczmarczyk: Einfach weil es sich auszahlt. Wir haben so viele hochqualifizierte Frauen und können es uns in Zeiten des akuten Ärztemangels nicht mehr leisten auf sie zu verzichten. Ein Umdenken hat bereits stattgefunden: Vor allem Kliniken auf dem Land versuchen vermehrt durch attraktive Angebote Frauen für Führungspositionen zu begeistern.
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Gerade der Ärztemangel bringt das Thema Frauen in Führungspositionen wieder auf die Agenda. Auch bei dem hohen Anteil an Medizinstudentinnen ist klar: Die Medizin wird weiblich und diese Entwicklung zwingt Kliniken und Universitäten zum Umdenken. Arbeitgeber sollten begreifen, dass sie nicht nur fordern, sondern Ärztinnen und Ärzten auch Anreize bieten müssen. Im Gegenzug müssen Frauen ihre Qualifikationen mehr schätzen und zeigen was sie können.